Alpe Cimbra in Italien: Entdecken Sie das Skifahren zwischen Festungen und Raketen, die nie gestartet sind

 
Folgaria und Lavarone in Italien sind Orte, an denen der fallende Schnee weit mehr bedeckt als nur Skipisten und Langlaufloipen. Man fährt Ski in einem Land des schwarzen Drachen, das sich an die Artilleriebeschüsse des Ersten Weltkriegs ebenso erinnert wie an die Spannungen der Zeit des Kalten Krieges.
 
Auf den Hochplateaus von Folgaria und Lavarone, wo einst die Grenze zwischen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie und Italien verlief, liegt das Skigebiet Alpe Cimbra, das sich vor allem an Familien mit Kindern richtet. Es bietet über hundert Kilometer rote und blaue Pisten, zwei Langlaufzentren, günstige Preise und eine außergewöhnlich spannende Geschichte. Noch heute findet man hoch in den Bergen auffällige militärische Relikte, die fast mysteriös in die wunderschöne Alpenlandschaft eingreifen. In Carving-Schwüngen überquert man alte Fahrwege, mit Latschenkiefern überwachsene Schützengräben und passiert Betonbauten, die sich wie steinerne, im Eis gefangene Schiffe aus dem Schnee erheben. Ob man nach Ortesina an der Festung Sommo Alto vorbei abfährt oder auf den Wiesen von Passo Coe langläuft – überall begegnet man etwas, das einen gewöhnlichen Winterurlaub in eine Zeitreise verwandelt.
 
1) Eine Festung auf dem hohen Kamm
Es ist ein eigenartiger Kontrast. Unweit der Skipiste, die von der Bergstation der Gondelbahn Francolini in Richtung Ortesina führt, steht die militärische Festung Forte Sommo Alto – übersetzt „Festung auf dem hohen Kamm“.
Man schnallt die Skier ab und während man hinter sich einen Skilehrer hört, der Kindern „Pizza – Spaghetti“ beibringt (wann man im Pflug fährt und wann man geradeaus hinuntergleitet), geht man auf die grauen Mauern zu, die wirken, als würden sie direkt aus dem Berg wachsen.Von außen wirkt das Bauwerk ruhig. Der Winter steht ihm gut. Der Schnee legt sich auf die mit Gestrüpp bewachsenen Dachlinien wie Zucker auf einen Gugelhupf. Doch dieses romantische Bild ändert nichts an der Tatsache, dass dieser Ort zur Verteidigung und zum Töten geschaffen wurde.Sommo Alto stammt aus dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts, als das gesamte heutige Trentino und Südtirol dem österreichisch-ungarischen Kaiser gehörten und die Hochplateaus von Folgaria und Lavarone eine entscheidende strategische Rolle spielten. Die Spannungen an den Grenzen nahmen zu: Während das Kaiserreich einen italienischen Angriff nach Norden erwartete, fürchteten die Italiener einen möglichen österreichischen Vorstoß in die Poebene. So errichteten Österreicher und Italiener in schwer zugänglichen Bergmassiven zehn Festungen zur Verteidigung ihrer strategischen Talrouten. Diese massiven militärischen Befestigungen wurden von Hunderten Soldaten besetzt, darunter auch Tschechen, die auf beiden Seiten der Front kämpften.Mit geschnallten Stiefeln durchquert man die mehrstöckige Festung mit eingestürzten Böden. Gänge verbinden leere, aber noch erkennbare Räume. In Zimmern mit Lüftungsschächten befanden sich einst Gemeinschaftsunterkünfte für fast hundert Männer. Zellen mit verstärkten Wänden dienten als Lager für Haubitzengranaten und Maschinengewehrmunition. Ein Labyrinth aus Tunneln verband Beobachtungsposten mit Schießscharten und Fluchtwegen.Man empfindet Erleichterung, als man wieder ins Sonnenlicht tritt. Bei der Abfahrt nach Ortesina versucht man bewusst, nicht daran zu denken, wie Soldaten in eisigen Wintern die Frontlinien bewachten, während keine Berghütten leuchteten und kein Kinderlachen zu hören war. Und man ist froh, dass heute kleine Skifahrer um ihre Eltern und Skilehrer kreisen, „Pizza – Spaghetti“ lernen und das Leben weitergeht.
 
2) Langlaufen mit Blick auf Raketensilos
Das Langlaufherz der Alpe Cimbra ist Passo Coe. Vom Restaurant Osteria Coe, das Infrastruktur für Touristen und Sportler bietet, ziehen sich 35 Kilometer Loipen unterschiedlicher Länge und Schwierigkeit über weiße, sanft gewellte Wiesen. Die Spuren sind perfekt präpariert. Man läuft, ein Schritt folgt dem nächsten, ein Ausblick dem anderen. Nur gelegentlich weht ein eisiger Bergwind und erinnert daran, dass man hier auf 1.600 Metern Höhe die Mütze etwas tiefer ins Gesicht ziehen sollte.Für einen Moment taucht man in einen lichten Wald ein und dann … wenn man wieder auf die offene Fläche gelangt, überraschen drei seltsame ockerfarbene Sonnenschirme. Sie wirken zusammengefaltet, und doch hat man das Gefühl, auf ein großes Restaurant zuzulaufen. Aber wo sind Terrasse, Tische und Stühle? Dann entdeckt man einen grünen Wachturm und erkennt, dass die schirmförmigen Kegel, die in den Himmel ragen, Raketen in Schutzsilos sind.Auf vom Frost gesprungenem Beton ragen drei gewaltige Nike-Hercules-Flugabwehrraketen empor, bereit – von den 1960er-Jahren bis zum Fall der Berliner Mauer 1989 –, Europa vor einem Luftangriff aus dem Osten zu verteidigen. Base Tuono ist der einzige Ort in Europa, an dem diese erhaltenen Waffen, einst mit konventionellen und nuklearen Sprengköpfen bestückt, als Freilichtmuseum zu sehen sind.Skifahrer gleiten achtlos an der ehemaligen NATO-Basis vorbei. Doch wenn man stehen bleibt und die rostenden Konstruktionen hinter dem Stacheldraht betrachtet, ist es nicht der kalte Wind, sondern dieser Anblick, der einen frösteln lässt. Unter grauen Planen verborgen stehen alte Radargeräte bei den hohen Abschusssilos, als warteten sie noch immer auf ein Signal aus dem vergangenen Jahrhundert.
 
3) Der schwarze Drache Vaia
Wenn man Lust auf einen nachmittäglichen Schneeschuhspaziergang hat, sollte man von Lavarone aus dem Drachenpfad über das Tablat-Plateau folgen. Es ist kein Skigebiet, sondern ein Ort, der zum winterlichen Wandern auf den Spuren von Geschichten einlädt. Auf einer Anhöhe oberhalb des Weilers Magré steht der Drache Vaia. Der lokale Künstler Marc Martalar schuf ihn in drei Jahren aus den Stämmen der Bäume, die der verheerende Sturm Vaia im Jahr 2018 gefällt hatte. Doch im August 2023 wurde der Drache von einem unbekannten Brandstifter in Brand gesetzt. Trotzdem ist Vaia wieder auferstanden. Seine neue Version ist größer und entstand aus ausgebranntem, verkohltem Holz – buchstäblich aus Asche und schwarzen Stämmen.„Ich wollte den Menschen Hoffnung geben, dass so wie ein zerstörter Wald wieder wachsen kann, auch der Drache erneut über unser Land wachen kann“, sagt der Schöpfer der größten hölzernen Drachenskulptur Europas, sieben Meter hoch und sechzehn Meter lang. Blickt man ihm in die Augen, erkennt man Geschichten, die niemand mehr erzählt. Hier ist alles mit allem verbunden … vielleicht kehrt man gerade deshalb so gerne auf die Alpe Cimbra zurück. Nicht nur wegen des Schnees, sondern auch wegen des Gefühls, dass die Landschaft selbst daran erinnern kann, was nicht vergessen werden darf.
 
Autorin: Dana Emingerová
Veröffentlicht in der Zeitschrift NATIONAL GEOGRAPHIC
 
 
 
 
 
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